Der Fliehkraft-Drehzahlregler der "Wilhelmsmühle" in Züschen
Im ausgehenden 19. und noch lange Zeit im 20. Jahrhundert (Jh.) wurden – neben der hier nicht beschriebenen Nutzung rein mechanisch wirkender Kräfte bzw. Drehmomente in Mühlen und Sägewerken – zur Erzeugung elektrischen Stroms neben Dampfmaschinen und später Dampfturbinen anfänglich auch ober- wie unterschlächtige Wasserräder und Wasserturbinen verwendet. Bei den zunächst benutzten Gleichstrom-Generatoren wirken sich ohne eine Regelung entstehende Belastungsänderungen über die sich zwangsläufig auch ändernde Drehzahl durch Spannungsänderungen aus, bei Wechselstrom- bzw. Drehstrom-Generatoren im Wesentlichen durch Frequenzänderungen. Je nach Belastung, in diesem Artikel also durch den abgegebenen von den Kunden benötigten Strom des Generators, muss demzufolge bei den die Generatoren antreibenden Kraftmaschinen auch die durchströmende Dampf- bzw. Wassermenge verstellt werden. Was anfänglich bei Wasserturbinen durch manuelles Heben oder Senken der Schütze (brettähnliche Absperrungen) im offenen Zulauf realisiert wurde, so auch im ersten "Casseler" Wasserkraftwerk "Neue Mühle" an der Fulda gegenüber des heutigen Fuldabrück-Bergshausen, übernahmen schon um die Wende vom 19. zum 20. Jh. rein mechanische, später hydraulisch-mechanisch wirkende Regler. Diese nutzten die mit der Drehzahl einer Turbine variierende Fliehkraft von beweglich aufgehangenen bzw. gelagerten Massen.
Fliehkraft? Vielleicht erinnert sich der eine oder andere unter den Lesern an seine Kindheit, der Autor in jedem Fall: Milch holte man vor 70 oder 80 Jahren auch in Kassel-Harleshausen entweder beim Bauer oder dem Milch-/Käse-"Tante-Emma-Laden" in der Milchkanne, bestenfalls mit aufgestecktem Deckel. Und diese Kanne schwenkte man stolz durch heftiges Kreisen des Arms neben dem Körper. Könner verloren beim Schwenken keinen Tropfen Milch, denn die Mutter drohte ansonsten mit einer Ohrfeige! Zur Erklärung der Fliehkraft-Drehzahlregelung daher zunächst das Prinzip dieses Reglers am Beispiel der Regelung einer Drosselklappe: Von einer – von der Dampfmaschine bzw. Turbine angetriebenen – Welle wird direkt oder über Riemen deren Drehzahl erfasst und einem Fliehkraftregler (s. Grafik unten, *1) zugeführt. Abgeglichen mit Messungen, werden die mit steigender Drehzahl auseinander strebenden kugeligen Massen so eingestellt, dass ein stabiler Drehzahlzustand entsteht. Die kugeligen Massen links und rechts unten schwingen nämlich mit zunehmender Drehzahl weiter aus und ziehen dabei den Waagebalken links nach unten, was auf der rechten Seite zu einer justierbaren Schließung der Drosselklappe für den Dampf oder das Wasser und damit zur Sollwertangleichung führt.
So ist das auch bei der wenige Meter, zwischen den Henschel-Werkzeugmaschinen und der Modelleisenbahn, stehenden Dampfmaschine "Lady Agnes" und prinzipiell auch der teilweise aufgeschnittenen AEG-Hilfs-Dampfturbine aus dem Kasseler Müllheizkraftwerk. Bei der Dampfmaschine wird die Drehzahl am großen Schwungrad abgenommen und über Riemen dem Fliehkraftregler zugeführt. Dieser verstellt am seitlich neben dem Dampfzylinder angeordneten Schieberkasten über die senkrechte Verbindung des Regler-Waagebalkens mit Zahnstange am unteren Ende die Dampffüllung des Zylinders und damit deren Leistung. Bei der Dampfturbine mit ihrer hohen Drehzahl über 7.000 Umdr./min. ist das schwieriger zu erkennen. Hier wird (vermutlich hydraulisch) ein Kolben gegen Federkraft verschoben und damit der Querschnitt des Dampfeintritts verstellt.
Zur Drehzahlregelung einer im ehemals waldeckischen Züschen aufgestellten Francis-Turbine in der dortigen Wasserkraftanlage (WKA) "Wilhelmsmühle" über die Leitschaufelverstellung (dies wird in einem eigenen Artikel später beschrieben) und damit der Durchflussmenge wurde ein Drehzahlregler der Fa. Briegleb, Hansen & Co., Maschinenfabrik & Eisengießerei in Gotha verwendet. Die Drehzahlerfassung erfolgte durch einen rollengeführten "Muffenregler" der Firma Jahns-Regulatoren-Gesellschaft mbH, Maschinenfabrik, Offenbach a. Main (s. Foto unten). Briegleb, Hansen u. Co. war vor 1914 in der Herstellung und dem Export von Turbinen deutschlandweit führend, u.a. mit der offenliegenden "Knop"-Turbine auch im ersten "Casseler" Wasserkraftwerk "Neue Mühle" an der Fulda aus 1891. Die Firma Jahns-Regulatoren GmbH hatte, wie auch andere Unternehmen, den bei Dampfmaschinen häufig verwendeten und oben prinzipiell beschriebenen Fliehkraftregler für verschiedene Kraftmaschinen wie auch Turbinenanlagen weiterentwickelt. Das Zusammenwirken zwischen dem hier beschriebenen Drehzahlregler und der Francis-Wasserturbine wird nach Aufstellung der erhaltenen Komponenten in einem eigenen Artikel in den nächsten Monaten beschrieben.
Drehzahlerfassung der Fa. Jahns-Regulatoren GmbH aus Offenbach am Main zur Bildung der Stellkräfte für das Servoventil des Drehzahlreglers der Maschinenfabrik Briegleb, Hansen & Co. aus Gotha in Thüringen (Bild links bzw. oben)
Es liegt uns zwar eine Grafik mit Funktionsbeschreibung aus einem in 1961 in 12. Auflage herausgegebenen Fachbuch vor, wir können die Grafik aber aus rechtlichen Gründen hier nicht veröffentlichen. Stattdessen verwenden wir die Entwurfszeichnungen des ehemaligen und leider zu früh verstorbenen Mitarbeiters der ehemaligen "Naturwissenschaftlich-Technische Sammlung" in den "Staatlichen Kunstsammlungen Kassel" (heute wieder das "Astronomisch-Physikalische Kabinett" in jetziger "Hessen Kassel Heritage", Herrn Dipl.-Ing. Karl-Wilhelm Schötteldreier. Herr Schötteldreier hatte sich nach der Bergung der noch erhaltenen Komponenten in den 1980-er Jahren eingehend mit dem Regler befasst, die Entwürfe der beiden nachstehend präsentierten Funktionszeichnungen leider aber nicht mehr fertigstellen können. Die Drehzahlerfassung (s. Foto links bzw. oben und die beiden Grafiken weiter unten, *2) ist auf der sich drehenden Reglerspindel befestigt. Die Schwungmassen innerhalb der Drehzahlerfassung werden durch Rollen innerhalb des Gehäuses radial geführt und schwingen mit zunehmender Drehzahl gegen die von außen vorspannbaren Federn aus. Beide Enden der Winkelhebel tragen Rollen, die in Führungsschlitze der Schwungmassen und der Reglermuffe greifen. Mit steigender Drehzahl werden die oberen Teile beider Winkelhebel durch die Fliehkraft der Massen nach rechts bzw. links ausgelenkt. Damit werden auch beide unteren Teile der Winkelhebel schräg nach innen hin zur Reglerspindel ausgelenkt.
Reglermuffe mit schwenkbarem Waagebalken und links der Ventilstange zum Servoventil mit Handverstellung des Drehzahl-Sollwertes. Rechts die "nachgiebige Rückführung" mit Öldämpfer und der ummantelten Zug-/Druckfeder (Bild rechts bzw. oben)
Dies führt zu einer Absenkung der Reglermuffe, an der der Waagebalken schwenkbar befestigt ist und damit auch einer Drehpunktverlagerung des Waagebalkens nach unten (s. Foto rechts bzw. oben). Am Waagebalken ist links die Ventilstange mit einstellbarer Wegbegrenzung gelagert und daran die Handverstellung des Drehzahl-Sollwertes der Turbine angeordnet. Da die geringen Stellkräfte der Ventilstange nicht zu einer Leitschaufelverstellung mit geringerem Durchfluss und damit einer Drehzahlabsenkung führen können, übernehmen ein durch die Ventilstange betätigtes Hydraulik-Servoventil, angeordnet im unteren Teil des Reglergehäuses, und der rückseitig angebrachte Hydraulik-Arbeitszylinder diese Aufgabe. Auf der rechten Seite des Waagebalkens sind ein Öldämpfer mit einstellbarer Wirkung und eine Zug-/Druckfeder mit Ummantelung angeordnet. Zusammen bilden diese die "nachgiebige Rückführung" des Stellwertes des Hydraulik-Arbeitszylinders.
Im unteren Gehäuseteil unseres Regler-Exponats sind eine Zahnradölpumpe "d" , angetrieben über die größere der beiden Flachriemenscheiben, und ein Steuerventil "b" enthalten. Letzteres stellt – von der Lageveränderung der Muffe unterhalb der Fliehkrafterfassung angesteuert – dem äußeren Arbeitszylinder "a" auf der Regler-Rückseite Hydraulikdruck zur Leitschaufelverstellung "g" zur Verfügung (wird bei dem späteren Artikel zur Francis-Wasserturbine erklärt). Die Turbinendrehzahl wird auf den Regler über die obere kleine Riemenscheibe übertragen. Die Schwungmassen des Fliehkraftreglers sind im topfähnlichen Zylinder oben untergebracht. Eine z.B. durch Lastreduzierung der Turbine höher werdende Drehzahl verursacht – wie oben dargelegt – eine Senkung der Reglermuffe und damit auch der Ventilstange, an unserem Exponat ausgestattet mit Solldrehzahl-Handverstellung und einstellbarer Wegbegrenzung. Damit erfolgt auch eine Verstellung des Steuerventils, welches jetzt Druck auf den Hydraulik-Arbeitszylinder zur Leitschaufelverstellung freigibt. Da die Drehzahl des Drehstromgenerators für die Sollfrequenz 50 Hz vergleichsweise zu Heute recht genau eingehalten werden sollte, kam in der Züschener WKA "Wilhelmsmühle" als spezielle Ausführung der indirekten Regelung die "Isodromregelung" zur Ausführung, welche in textlicher Anpassung zum vorliegenden Fachbuch aus 1961 nachfolgend erklärt wird (Quelle *3):
"Zwischen dem Arbeitszylinder "a" (abgeschnitten rechts unten dargestellt, mit rotem "a" gekennzeichnet) und dem oberen Ende "c" der Kolbenstange (die Kolbenstange ist bei unserem Exponat über das gelenkige Rückführungsgestänge an der Handverstellung verlängert) ist ein "Katarakt"-Zylinder "e" eingeschaltet (hier als "Öldämpfer" bezeichnet und mit dessen Wirkung am Waagebalken des Fliehkraftreglers befestigt); am Gelenk "c" greift eine Zug- und Druckfeder "f" an, die dann spannungslos ist, wenn der Steuerschieber "b" in seiner Mittellage steht. Verschiebt die Reglermuffe bei Be- oder Entlastungen der Maschine den Steuerschieber nach unten bzw. oben, so folgt der Kraftkolben (in "a") gleichsinnig, und der Kataraktzylinder macht zunächst die gleiche Bewegung, weil das ihn füllende Drucköl nur langsam von der einen Seite des Kolbens auf die andere treten kann (Einstellung des Ölumlaufes durch ein Spitzventil). Die Feder "f" führt allmählich den Punkt "c" wieder in seine ursprüngliche Lage zurück, und da auch der Steuerschieber sich selbsttätig stets wieder auf seine Mittellage stellt, behält die Reglermuffe ihre Anfangslage und damit die Maschine ihre Drehzahl bei, während der Kraftkolben (in "a") die der neuen Belastung entsprechende Stellung einnimmt. Die Verlängerung oder Verkürzung der Stange, … (bei üblicher indirekter Regelung als Sollwert von Hand eingestellt, d. Autor) … geschieht also bei der Isodromregelung selbsttätig. Isodromregler sind "Regler mit nachgiebiger Rückführung".
Die durch die Ausregelung von Belastungsschwankungen, ggf. auch durch sich ändernde Wasserhöhe im Zulaufgraben vor dem Turbineneinlauf, erforderliche Leitschaufelverstellung an der Francis-Wasserturbine übernimmt der Hydraulik-Arbeitszylinder auf der rechten Seite von der Handverstellung aus gesehen. Angesteuert wird er durch das Hydraulik-Servoventil im Inneren des Reglergehäuses hinter dem hier zur Erklärung und dadurch sichtbaren Kolben des aufgeschnittenen Gehäuses in der Mitte. Dahinter und links sind Teile der Stellwert-Rückführung zu erkennen
Die Anordnung und Wirkung des hydraulisch-mechanisch wirkenden Drehzahlreglers aus den erstem Jahrzehnten des 20. Jh. auf die zu regelnde Francis-Wasserturbine und damit einen sehr frühen Drehstrom-Generator wird wie oben beschrieben in mindestens einem, vielleicht auch zwei eigenen Artikeln in den nächsten Monaten erklärt.
Text und nicht besonders gekennzeichnete Bilder: Wolfgang Dünkel, VDE Kassel und TMK
(last update 31.03.2025)
Hier finden Sie eine verlinkte Auflistung unserer seit Oktober 2020 vorgestellten Objekte des Monats.
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Grafik-, Bild- und Textquellen bzw. -zitate:
*1: Fliehkraftregler, https://de.wikipedia.org/wiki/Fliehkraftregler#/media/Datei:Fliehkrafregler.PNG, gemeinfrei
*2: Dipl.-Ing Karl-Wilhelm Schötteldreier †, ehemals Museumslandschaft Hessen Kassel, heute in unserem Eigentum
*3: Dubbels Taschenbuch für den Maschinenbau, F. Sass, Ch. Bouché, A. Leitner, Seiten 281 – 290, Springer Verlag OHG, Berlin/Göttingen/Heidelberg, Band II, 12. Auflage, 1961